Interview : Nicolas Beau Verantwortlicher für die Geschäftsentwicklung in der Uhrenund Schmucksparte von Chanel

Am Pariser Place Vendôme präsentierte uns Nicolas Beau zusammen mit dem Leiter des Uhrenkreativstudios Arnaud Chastaingt* die neue J12 und kommentierte die jüngsten Investitionen von Chanel. * Lesen Sie das Interview auf worldtempus.com.

«Mit der Hans-Wilsdorf- Stiftung verbindet uns eine gemeinsame Vision von Luxus.»

Inwiefern unterscheidet sich die neue J12 von der vorherigen Version?

Die Weiterentwicklung einer Ikone ist immer eine heikle Angelegenheit. Der Jahrgang 2019 verkörpert die erste radikale Veränderung der J12, seit sie 2000 aus der Taufe gehoben wurde. Wissen Sie, der Flakon für das Parfum Chanel N°5 erfuhr seit seiner Lancierung Dutzende von oftmals unmerklichen Veränderungen, um seine Position als Inbegriff des perfekten Flakons zu behalten. Arnaud Chastaingt ist seit 2013 Leiter des Uhrenkreativstudios. Bei der Erschaffung einer Uhr denkt er sich eine Geschichte zu der Person aus, die sie tragen wird. Dann erst – ausgehend von einem Bild und ein paar Wörtern – zeichnet er sie. Arnaud hegt den grössten Respekt vor der J12 und ihrem Schöpfer Jacques Helleu, und er hat sich dafür entschieden, dessen ursprünglichen Entwurf nicht anzutasten. Im Gegenzug hat er aber 70 % der Bestandteile – vom Werk über das Zifferblatt und das Gehäuse bis zum Armband – auf diskrete und mitunter sogar unsichtbare Weise verändert. Die J12 soll modern bleiben, und seine Herangehensweise ist daher äusserst komplex und ausgeklügelt. Arnaud verfügt über einen atypischen kreativen Ansatz, bei dem Stil und Design über der Zeitmessung stehen.

Weshalb haben Sie bis jetzt gewartet, um den Leiter Ihres Uhrenkreativstudios vorzustellen?

Jetzt, da die neue J12 und verschiedene strategische Projekte vorgestellt werden, schien die Zeit dazu günstig. Als Jacques Helleu uns 2007 verliess, liefen viele grössere Projekte. Er ging keine Kompromisse ein und fragte nicht nach dem Markt. Als wir Arnaud kennenlernten, haben uns sein Elan und seine Visionen begeistert. Er gibt zunächst eine Ästhetik vor und erwartet anschliessend von den Uhrmachern, dass sie sich anpassen. Das wurde bei der Uhr Monsieur besonders deutlich, aber auch bei der Kaliber 2 Camelia Skeleton, deren vollumfänglich skelettierter und stilisierter Mechanismus wie eine dreidimensionale Kamelie geformt ist. Bei der J12 bestand seine Forderung in der Erschaffung eines Kreises im Rotor, damit das Werk sichtbar wurde. Uhrmacherische Beschränkungen sind rein intellektueller Natur und sollten kein Hindernis darstellen. Wenn uns etwas nicht gelingt, dann machen wir es nicht. Seit 2013 wurde Chanel beim Grand Prix d’Horlogerie de Genève mehrmals ausgezeichnet. Es ist sehr befriedigend zu wissen, dass diese sehr prestigeträchtige Jury aus Experten der hohen Uhrmacherkunst Chanel mit Wohlwollen begegnet.

Sie betonen, dass Sie die Keramik für die J12 selber herstellen.

Es handelt sich dabei um ein ganz spezielles Know-how. Während viele andere Marken auf Zulieferer zurückgreifen, fertigen wir unsere eigene Keramik bei Châtelain in La Chaux-de-Fonds und investieren viel in diese Technologie. Wir stellen sogar das Pulver für die Keramikproduktion her – das ist faszinierend! Wir haben Spritztechniken entwickelt, um realitätsnähere Formen zu erhalten, und mussten dabei enorme Schwierigkeiten überwinden, denn die Qualität von Einspritzung, Pulver und Brennprozess muss zur Erzielung von Toleranzen im Submillimeterbereich ausgezeichnet sein. Es gibt auch einfachere Technologien, aber diese bieten weit weniger Möglichkeiten.

Sie haben auch im Bereich der Manufaktur neue Investitionen getätigt.

Nachdem Chanel mit der Uhrmacherei ein neues Kapitel aufgeschlagen hatte, übernahm die Marke die Manufaktur Châtelain, stieg danach in alle Berufsbereiche der Ausstattung sowie der Edelsteinfasstechnik ein und bewies, dass sie in der Lage war, Uhrwerke hoher Uhrmacherkunst in Kleinstserien zu entwickeln. Es fehlte aber ein wichtiger Eckstein: In unserer Vision der Uhrmacherei von morgen hat sich die Uhr vom reinen Instrument zu einem gleichzeitig schönen Gegenstand gewandelt: herausragende Kreationen brauchen sehr schöne Motoren. Seit Jahren machen wir uns Gedanken über die Weiterentwicklung unserer Kaliber und haben 2011 innerhalb von G&F Châtelain eine Abteilung für hohe Uhrmacherkunst auf die Beine gestellt. Das Abenteuer einer industriellen Partnerschaft sollte jedoch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Als unabhängige Marke konnte Chanel nur mit einer anderen grossen, unabhängigen und vor Übernahmen geschützten Marke zusammenspannen. Wir hatten die Gelegenheit, mit der Führung der Hans-Wilsdorf-Stiftung (Eigentümerin der Rolex-Gruppe, Anm. d. Red.) zu sprechen, die ebenfalls darauf bedacht ist, die Uhrwerkfertigung für Tudor nachhaltig zu sichern. Sie gründete 2013 die Firma Kenissi mit dem Ziel, Automatikkaliber für Tudor und nun auch für Chanel und Breitling zu entwickeln. Wir haben Anteile an dieser Manufaktur erworben. Es ist eine Minderheitsbeteiligung, die dennoch ausreichend ist, um Einfluss auf die Kreationen zu nehmen und die Zusammenarbeit langfristig ausrichten zu können. Uns verbinden Werte wie Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sowie eine gemeinsame Vision von Luxus, sodass wir gelassen in die Zukunft blicken können. Die neue Fertigungsstätte wird 2021 in Le Locle eröffnet.

Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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