Uhren kann man fühlen, sehen, hören und sogar riechen. Unsere Rezeptoren reagieren auf sie, aber sprechen Uhren auch wirklich alle unsere Sinne an?
Wir nehmen die Welt mit unseren Sinnen wahr. Ob bewusst oder unbewusst spüren wir ständig alles, was uns umgibt. Eine Uhr bildet da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Dieser mit viel Detailliebe konzipierte Gegenstand wird getragen, gehalten, bewundert und weckt auf natürliche Weise alle unsere Sinne.
AUGE
Das wichtigste Sinnesorgan ist das Auge. Es erfasst alle Details mit einem Blick und stimuliert uns am meisten. Die Uhr wird also in erster Linie geschaffen, um ihm zu gefallen. Sie lädt von einer Seite, einem Bildschirm oder einem Schaufenster aus dazu ein, sich intensiver mit ihr zu beschäftigen. Daraufhin wird sie auf einem samtenen Vorlagetablett oder durch Zoomen näher in Augenschein genommen. Im zweiten Fall betrachtet man jedoch keine Uhr, sondern nur das Bild einer Uhr, deren Farben, Dimensionen und Volumen verzerrt sind, uns aber trotzdem bezaubern.
HAUT
Dann wird die Uhr ergriffen, und der Tastsinn kommt in vollem Umfang zum Einsatz. Wir blicken vielleicht nur ab und zu auf unsere Uhr, aber wir spüren sie ständig. Ist sie schwer? Oder leicht? Wie fühlt sie sich in der Handfläche an? Sind ihre Kanten weich oder hart? Ist die Textur des Armbands angenehm zu tragen? Befindet sie sich erst einmal am Handgelenk, verlagert sich das Fühlen von den Fingerspitzen auf eine weniger empfindsame, aber durchaus zarte Hautpartie. Liegt die Uhr auch gut auf der Haut auf? Stört sie oder spürt man sie gar nicht? Hierfür spielen Gehäusegrösse, Bandanstossform und Werkstoffe eine massgebliche Rolle. Sie entscheiden über den Tragekomfort. Und so entsteht die innige und langfristige Beziehung zur Uhr.
NASE
In dem Moment, in dem die Uhr berührt wird, kommt einer der weniger beanspruchten Sinne zum Einsatz: der Geruchssinn. Er gehört zu unseren instinktivsten, animalischsten Sinnen, die am engsten mit unserem Gedächtnis verknüpft sind. Und doch wird er von den Marken vollkommen vernachlässigt. Lederarmbänder können noch Spuren von Lösungsmitteln oder Kleber ausströmen. Bei Kautschukarmbändern wurden bereits grosse Fortschritte erzielt, aber einige riechen immer noch nach chemischen Mitteln. Schatullen sind bei Uhren sozusagen das fünfte Rad am Wagen. Tatsächlich werden Leder oder Edelholzplättchen auf ein beliebiges Gehäuse geklebt, und folglich verbreiten sie einen Geruch, der nicht mit der beabsichtigten luxuriösen Erfahrung der Uhr kompatibel ist. Kamen sie beim Tragen zu oft mit Feuchtigkeit in Berührung, nehmen Lederarmbänder einen muffigen Duft an, der sich nie wieder verflüchtigt. Minderwertige Metallarmbänder speichern im Sommer die Ausdünstungen der Transpiration – genau wie die Stoffarmbänder, die sich jedoch zumindest leicht waschen lassen.
TROMMELFELL
Betrachten wir nun die winzige, völlig ignorierte Welt des Gehörs. Uhren machen Geräusche, und diese geben Aufschluss über ihre Qualität. Wir werden hier nicht auf Uhren mit Minutenrepetition eingehen, für die sich die Marken selbst äusserst schmeichelhafte Leistungen zuschreiben. Die Klangreinheit von Uhren mit Läutwerk ist ein komplexes Thema und verdient ein ganz eigenes Kapitel. Hier geht es um das Geräusch, das die Uhr beim Aufziehen macht. Macht die Krone krrrrrr? Zzzzzzzz? Oder ist sie vielleicht leise? Ein feines und leises Geräusch lässt auf gut konzipierte Federhäuser und Zugfedern schliessen, ganz im Gegensatz zu den knarrenden Lauten einfacher Kaliber. Ein weiteres Kriterium ist das Ticken. Je leiser der Ton, desto schwächer die Einwirkung des Ankers auf das Ankerrad und desto leistungsfähiger das Werk in Bezug auf Reibungen. Das letzte Detail liefert der Rotor von Automatikuhren, der auf Kugellagern aufliegt. Keramikkugeln machen einen Heidenlärm, wenn man die Uhr bewegt. Dieses minderwertige Geräusch ist mit einer bestimmten Preiskategorie nicht vereinbar und doch leider gar nicht so selten.
UND SCHLIESSLICH…
… ist da der Geschmack. Uhren nimmt man zugegebenermassen nicht in den Mund. Aber beim Geschmack handelt es sich nicht nur um das Vermögen der Zunge, zwischen süss, sauer, salzig, bitter und umami zu unterscheiden. Es geht auch um Erziehung, um einen ästhetischen Sinn, der es versteht, Banales und Unzulängliches abzutun. Wir alle haben einen, aber er ist nicht immer gut.
PAUL O’NEIL
Chefredakteur von WorldTempus.com
Davids Artikel erinnert uns auf wunderbare Weise daran, dass die herrlichen, hier im Magazin GMT veröffentlichten Bilder nur eine Kostprobe einer faszinierenden und sinnbetörenden Welt sind. Die wirklich leidenschaftlichen Uhrenfans möchten die Uhr anprobieren, sie von allen Seiten unter die Lupe nehmen, die Bandanstösse, die Hörner und das Armband analysieren. Schliesslich werden sie die Uhr tagtäglich tragen. Die Uhren müssen ihren Träger sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn ansprechen. Wie David ganz richtig bemerkt, kann der Klang einer Uhr ein wichtiger Parameter sein, der nur beim Betrachten (und Anhören) einer Uhr in der Boutique erfasst werden kann. Neben der Lektüre von GMT oder der Artikel auf WorldTempus ist der Besuch Ihres örtlichen Uhrenhändlers also für Ihre uhrmacherische Entdeckungsreise ein absolutes Muss.