Jérôme Lambert : CEO Montblanc

Welche Prioritäten verfolgen Sie seit Ihrer Ankunft bei Montblanc im Sommer 2013?

Ich hatte drei Prioritäten. Zuerst habe ich eine Analyse eingeleitet, um zu sehen, welche Rolle Montblanc in der Uhrmacherei spielt und was unsere Stärken und Schwächen sind. Ich musste mich mit den Regeln der Marke identifizieren, die Funktionsweise der Produktionsstätten in Le Locle und Villeret verstehen und die Teams und ihre Beziehungen untereinander kennenlernen.

Anschliessend lag es mir am Herzen, den Werkstätten in Le Locle und Villeret noch mehr Kohärenz zu verleihen. Sie sollten nicht nur nebeneinander existieren, sondern noch sinnvoller zusammenarbeiten und einander ergänzen. Wir verlegten den Werksbauer von Le Locle zu den fünf anderen in Villeret, damit auch er vom 150-jährigen Fachwissen und den Erfahrungen von Minerva voll profitieren kann. Durch die Fusion beider Kulturen gewinnen wir an Konsistenz und machen Montblanc noch schlagkräftiger. Ein Zeitmesser wie die Orbis Terrarum, die am SIHH 2015 enthüllt wird, liefert den überzeugenden Beweis. Konzeptuelle Logik und technische Innovation setzen in Kombination neue Kräfte frei.

Meine dritte Priorität betraf die auf den Grundwerten von Montblanc basierenden grossen Entwicklungsachsen: technische Leistung und Innovation als Teil unseres Erbguts.

Wer aus Hamburg stammt, ist mit der für die deutschen Industriepioniere typischen fortschrittlichen technischen Kultur aufgewachsen, die auch seit der Niederlassung von Montblanc in Le Locle deutlich spürbar ist. Die Qualität der Zeitmesser von Montblanc ist heute beispielhaft. Wir haben nach meinem Kenntnisstand die geringste Reklamationsrate der ganzen Industrie.

 

Was hat Sie in diesem vielschichtigen Unternehmen am meisten überrascht?

Ich habe mir beim Besuch der vier Manufakturen folgende Frage gestellt: Wie kann eine Marke mit so unterschiedlichen Berufen und geografischen Gebieten ihre Einheit wahren? Die Mentalitäten in Hamburg, Florenz und Le Locle oder Villeret klaffen weit auseinander. Im Lederwarengeschäft haben wir den Neuheitenrhythmus mit 450 neuen Referenzen pro Jahr verzehnfacht. Es ist nicht unüblich, dass wir für eine Prototypenpräsentation die Kollektion erst eine Woche im Voraus entwerfen und bereits im nächsten Monat fertige Ware liefern können. Der rote Faden wird durch die stilistische Signatur – Eleganz mit einem Hauch Moderne – sowie die allgegenwärtige Qualitätskultur gewährleistet. Bei einer Ingenieurmarke ist unabhängig vom Beruf der Ansatz immer zuerst technisch ausgerichtet.

 

Warten Sie nach den digitalen Stiften für Tablets auch mit digitalen Uhren auf?

Das ist eine ausgezeichnete Frage! Wir können nicht umhin, darüber nachzudenken, denn das ist eine interessante Überleitung zwischen den Generationen. Brücken schlagen und Zukunftsvisionen entwickeln ist wichtig, vor allem in den Regionen der Welt mit einer Vorliebe für solche Accessoires.

Aber Accessoires und Uhrmacherei sind zweierlei Paar Schuhe. Ich denke nicht, dass dadurch grundlegende uhrmacherische Paradigmen in Frage gestellt werden. Niemand kann dieses Phänomen ignorieren, und es gibt nur zwei mögliche Reaktionen: ausweichen oder mitmachen. Zum Mitmachen braucht es Originalität, denn der Markt wird bereits mit sehr guten Produkten bis USD 300 überflutet. Uhrmachergeschichte wird nicht mit übereilten Antworten geschrieben. Es handelt sich um eine neue Herausforderung und ein interessantes Gebiet mit viel Potenzial. Wir werden bald mehr sagen können.

 

Was sind die Trümpfe von Montblanc in der derzeit unsicheren Konjunkturlage?

Unser Boutiquen-Netz, unser freudiger Schaffensdrang sowie unsere Vorliebe für Authentisches. Ich habe bei Montblanc die gleiche Freude an Kreativität vorgefunden wie bei Jaeger-LeCoultre. Dank dieser treibenden Kraft können wir täglich über uns hinauswachsen. Villeret fasziniert mich, weil dort mit Rohmaterial gearbeitet wird und die hohe uhrmacherische Integrität die Teams zu Höchstleistungen motiviert. Das Gefühl, sich selbst zu übertreffen, und die Freude, diese Werte vorzuleben, schafft eine Faszination, die sich in unseren 500 Boutiquen leichter vermitteln lässt. Dieses internationale Netz garantiert uns, dass wir unseren Kunden unsere neuen Kollektionen schneller und zuverlässiger präsentieren können als andere Marken, die über Einzelhändler gehen. Obwohl wir fast 100 000 Uhren pro Jahr produzieren, locken wir mit den Schreibgeräten und Lederwaren 30 mal mehr Kunden in unsere Boutiquen – pro Jahr mehrere Millionen Menschen. Unsere Boutiquen verwandeln sich regelmässig in Minimanufakturen, in denen wir mit Ausstellungen des Typs «SIHH comes to you» unser uhrmacherisches Fachwissen unter Beweis stellen. Wir haben letztes Jahr 250 solche Anlässe organisiert. In Genf finden sie mehr als einmal im Monat statt, in Brasilien waren 10 und in China sogar 100 Boutiquen beteiligt. Das Interesse der Kunden an seltenen Berufen ist gross, und das ist ein gigantischer Trumpf!

 

Welche Modelle gefallen Ihnen bisher am besten?

Manchmal möchte ich sie am liebsten alle tragen! 2014 konnten Herren zum 90. Geburtstag der Marke zwei bemerkenswerte neue Modelle der Linie Meisterstück entdecken: den Perpetual Calendar und den Pulsograph, eine Sonderserie von 90 Exemplaren mit Villeret-Werk, von der 90% bereits reserviert waren, noch bevor sie in unseren Boutiquen auflagen. Die grosse Damen-Neuheit war zwar rund, aber dennoch sehr originell: Der Bohème Perpetual Calendar besticht durch Ausgewogenheit. 2015 werden wir mit ausgezeichneten Produkten wie der Orbis Terrarum aufwarten, die auf dem gut vorgespurten Pfad der Worldtimer mit neuartigen und herausragenden Qualitäten überrascht.


Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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