Schwerelos

Eine ganze Generation von Werken ist frei schwebend im Raum in den Zustand der Schwerelosigkeit eingetreten – scheint es zumindest. Illusion, Zauber, Spiel der Transparenz: Was ist der Trick?

Wie bei jedem guten Zaubertrick ist die Illusion perfekt und verblüfft. Ein mitten im Gehäuse der Uhr schwebendes und um das Geheimnis noch zu steigern fast transparentes Werk. Zauberei ist immer auf Tricks, Drähte und Erfahrung zurückzuführen. Das gilt für die Uhrmacherei wie auch auf der Bühne. Die für diese herrlichen Kunststücke verantwortlichen Zauberer nutzen ihr technisches und teilweise auch historisches Know-how, um der Mechanik das Schweben zu lehren.

ILLUSION

Eskamoteure verwenden geheime Tafeln, Klappen und Ablenkungsmanöver, um die Sinne der Zuschauer zu täuschen. Der Rohstoff des Uhrmachers ist Saphir. Nicht der blaue oder rosafarbene Stein, den der Juwelier verwendet, sondern ein perfekt durchsichtiger Synthesesaphir. Aus ihm macht man kratzfeste Gläser, und er wird in Uhren zu Platinen und Brücken – kurz und gut, zu einer fast unsichtbaren Struktur, die die gleichen Aufgaben übernimmt wie Stahl oder Messing. Blancpain hat das Chassis des L-Evolution Carrousel Volant Saphir daraus gefertigt, gleichzeitig aber durch eine Metallisierung des Uhrglases auf absolute Transparenz verzichtet, um die Lesbarkeit zu steigern. Corum zögerte nicht. Platine und Brücken des Tourbillon Panoramique waren unsichtbar, können aber noch erahnt werden, weil sie nebeneinander liegen. Es musste bis zur Rückkehr des historischen Spezialisten dieser Illusion gewartet werden, damit der Zauber auch wirklich wirkte.

GEHEIMNIS

Dieser Houdini heisst Cartier. In den 1920er-Jahren hatte die Marke bereits die sogenannten geheimnisvollen Pendulen lanciert, deren Zeiger frei im Raum zu schweben schienen. In Wahrheit waren sie auf Bergkristallkreisen montiert und wurden von einem im Pendulenkorpus verstecken Mechanismus angetrieben. 2013 griff Cartier dieses Konzept erneut auf und passte es ans Handgelenk an. Die Illusion hat sich seitdem stetig verbessert. Die jüngste Ausführung heisst Rotonde de Cartier Astromystérieux. Ihr ganzes Werk scheint mitten im Herzen der Uhr zwischen zwei Luftschichten gebettet. Selbst wenn man den Trick kennt, fragt man sich, wie so etwas funktionieren kann. Der Fakir arbeitet am liebsten mit Drähten. Richard Mille hat sich davon inspirieren lassen. Die RM 27-01 hatte Leichtigkeit und extreme Stosssicherheit als oberstes Ziel und beschritt doch neue Wege. Ihr Werk ist mit einem System aus Drähten (0,35 mm Durchmesser), Flaschenzügen und Spannvorrichtungen im Gehäuse verankert. Hätte man die versteckt, würde das Kaliber auch frei schweben.

TROMPE-L’OEIL

Es gibt noch eine auf den ersten Blick einfache, aber sehr schwer umsetzbare Methode: der Leere viel Platz einräumen. Das setzt natürlich Werke mit speziellen Strukturen voraus. Das Baguette- Kaliber der Golden Bridge von Corum ist so schmal, dass man es an beiden Enden eines Gehäuses befestigen und so den Eindruck der Schwerelosigkeit erwecken kann. Eine andere Alternative ist das fast vollständig skelettierte Werk wie beim Tourbillon Volant Poinçon de Genève von Louis Vuitton. Die Struktur des Kalibers ist zart und hinter dem Zifferblatt sowie dem Tourbillon versteckt. Freies Schweben dank dem geschickten Einsatz traditioneller, aber nicht minder verblüffender Methoden.

Der Uhrenfachjournalist und regelmässige Korrespondent für WorldTempus.com schreibt unsere Rubrik Innovation in einem für alle verständlichen Stil.

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