Neue Materialien in Hülle und Fülle

Die durch eine neue Expansionsphase gestärkten Uhrenmarken zaubern Innovationen auf dem Gebiet der Werkstoffe aus den Ärmeln. Dieses scheint über unerschöpfliche und immer bessere Ressourcen zu verfügen.

Werkstoffinovation ist ein wesentlicher Bestandteil der Kreation neuer Uhrenprodukte. Seit fast 15 Jahren wurde die Heilige Dreifaltigkeit aus Stahl, Gold und Titan immer mehr bereichert und nahm zur ihrer Rechten Werkstoffe auf, die früher niemand in Erwägung gezogen hätte. Vor allem Keramik und Verbundstoffen kommt eine immer grössere Bedeutung zu, die umso auffälliger ist, als sie mit aussergewöhnlichen Leistungen verbunden sind. In den letzten zwölf Monaten gab es viele Beispiele dafür. Meistens werden sie in der Gehäusefertigung eingesetzt. Kein anderer Teil der Uhr ist so sichtbar und kennzeichnend, aber auch so schwer und wird so stark beansprucht wie das Gehäuse. Aus diesem Grund sind hier die immer leichter und kratzfester werdenden Verbundwerkstoffe sehr gefragt. In ihrer Beschaffenheit als Verbundstoff setzen sie sich aus mehreren Materialien zusammen, die nicht wie in einer Legierung miteinander verschmolzen sind, und können die einzelnen Merkmale aller Komponenten aufweisen. Ihre strukturellen Eigenschaften sind aber nicht ihr einziger Vorteil. Sie warten auch mit einer Optik auf, die Designer inspiriert.

WERKSTOFFE MIXEN

In mehreren Produkten wird das schwarze Karbon mit anderen, farbigen Zutaten vermischt. Hublot gibt ihm für die neue skelettierte Spirit of Big Bang Tourbillon blaue Fasern bei. Bei Ulysse Nardin handelt es sich um das sehr steife, auch in der Luftfahrt eingesetzte Carbonium mit einer hohen Dosis langfaserigen Karbons. Verbindet man es wie bei der Skeleton X mit Goldfasern, erhält man ein schimmerndes, edles Erscheinungsbild. Girard-Perregaux spielt bei der Laureato Absolute Chronograph mit blauen Effekten. Dem Gehäuse aus Carbon Glass kommt die extreme Steifigkeit dieses Werkstoffs zugute, die sowohl von seiner Matrix aus ultrahartem Harz als auch von den im Übrigen beliebig einfärbbaren Glasfasern als herkömmlichem Bestandteil von Verbundstoffen herrührt. Bei der Defy Inventor setzt Zenith schliesslich auf maximale Leichtigkeit: Ihre Lünette ist aus Aeronith, einem hauseigenen Werkstoff aus Aluminiumschaum, der mit einem Polymer versteift wurde.

ALTE WEGE NEU BESCHREITEN

Erfinden ist nicht der einzige Ansatz für Innovation. Eine neuartige Anwendung für bereits bekannte Werkstoffe zu entwickeln kann mindestens genauso vielversprechend sein. Ferdinand Berthoud bedient sich für das Gehäuse seines Chronometers FB 1R.6-1 zum Beispiel der Technik des Kolsterisierens, bei der 20 Mikron der Metalloberfläche durch eine Anreicherung mit Stickstoff und Kohlenstoff in der Plasmaphase modifiziert werden. Es wird dadurch stoss- und abriebfester. Das Ceratanium von IWC ist eine spezielle Titanlegierung, deren oberflächennahe Schichten in ultraharte Keramik verwandelt wurden. Diese Anwendungen gewinnen noch an Faszination, wenn es um einen so vielfältigen Werkstoff wie Karbon geht. Tatsächlich kann es je nach Anordnung seiner Atome radikal verschiedene Eigenschaften aufweisen. TAG Heuer fand eine neue Verwendung für dieses allem Leben zugrundeliegende Atom. Die auf der Grundlagenforschung der Marke basierende und in Eigenfertigung hergestellte Spirale des Isograph-Reguliersystems besteht einzig und allein aus Karbon. Dessen exklusive hexagonale Struktur garantiert ein perfektes Formgedächtnis, eine ausserordentliche Leichtigkeit und eine Plastizität, die für herausragende Stossfestigkeit sorgt. Es ist ausserdem selbstverständlich amagnetisch und temperaturstabil. Seine Herstellungsmethode bietet darüber hinaus eine völlige Freiheit in der Formgebung. Folglich konnte eine einzigartige Geometrie geschaffen werden, die eine konzentrische Bewegung der Spirale als wichtigste Voraussetzung für ihre Ganggenauigkeit vereinfacht.

 


                                                                                                                    PAUL O’NEIL

Chefredakteur von WorldTempus.com

Wir haben die neuen Werkstoffe aus Davids Artikel auf WorldTempus näher unter die Lupe genommen. Scannen Sie den QRCode und schauen Sie sich neben unserer Auswahl an Beiträgen zu Karbonverbundwerkstoffen auch eine ausführliche Erklärung zur bahnbrechenden neuen Karbonspirale von TAG Heuer sowie einen Bericht über innovative Technologien in der Herstellung von Karbonverbundwerkstoffen an. Es könnte gut sein, dass die Karbonfaser-Uhrengehäuse der Zukunft gestrickt und nicht mehr schichtweise angeordnet und erhitzt werden. Das ist jedoch nur einer von vielen innovativen Werkstoffen, denn die Uhrmacher setzen auf ihrer Suche nach neuen Gehäusematerialien unentwegt neue Massstäbe. Vor Kurzem habe ich sogar eine Uhr gesehen, deren Gehäuse und Zifferblatt aus Teilen eines Whiskyfasses gefertigt worden waren. Sláinte, wie die Schotten sagen!

Der Uhrenfachjournalist und regelmässige Korrespondent für WorldTempus.com schreibt unsere Rubrik Innovation in einem für alle verständlichen Stil.

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