(Neu-) Lancierung einer Marke 2013: wie, warum und für wen?

Was vermittelt eine Uhr namens Drakkar? Ein Wikingerschiff aus Mahagoni auf dem Zifferblatt, Lünette mit Nieten, schraubenförmiger Rotor, Kollektionen namens Cap Horn oder Marquises und das Sponsoring von Segelevents sorgen für eine klare Imagepositionierung. Die dank des doppelt strukturierten Gehäuserahmens unmittelbar erkennbaren Modelle finden grossen Anklang. Der Gründer Alain Bisiaux richtet sich an Bootsbesitzer sowie Uhrenliebhaber mit einem Hang zu ausgefallenen und persönlich gestaltbaren Uhren. Die vollständig in der Schweiz gefertigten, mit luxuriösen Vollendungen sowie einem komplexen Gehäuse ausgestatteten Drakkar-Modelle zählen preislich zu den exklusiven Zeitmessern. Alain Bisiaux hat einen ungewöhnlichen Lebenslauf: Auf das Yachting folgte die Industrieinformatik, wo er mit Zulieferern der Uhrmacherei networkte. Schliesslich beschloss Alain Bisiaux aus Leidenschaft und Unternehmergeist seine eigene Marke zu lancieren und holte die Brüder Urquhart (die Söhne von Omega-CEO Stephen) als Partner mit an Bord. Dank seiner Mikrostruktur kann er sich Zeit lassen und sich auch bei dem derzeit vor allem auf Direktverkauf gegründeten Vertrieb wählerisch zeigen. Drakkar sucht Investoren, um eine vollumfängliche Manufaktur aufzubauen und alle Produkte mit dem Genfer Stempel zertifizieren zu lassen.

 

An der Baselworld 2013 wird noch eine weitere Genfer Initiative lanciert: Spero Lucem wurzelt tief in der Calvin-Stadt, zumal der Name vom Genfer Credo «Post Tenebras Lux», manchmal auch als «Post Tenebras Spero Lucem» abgewandelt, abstammt. Für das Markenlogo liess sich der Gründer direkt vom Schlüssel des amtlichen Wappens inspirieren, und die ersten Modelle namens La Jonction und La Clémence sind weitere Wahrzeichen der Stadt Genf. Das Produkt siedelt sich in der hohen Uhrmacherkunst an, zumal es sich bei La Clémence um eine Weltpremiere handelt: einen Tourbillon mit Minutenrepetition und verrückten Zeigern (siehe Fokus Seite 68). Die Zielgruppe sind ultrareiche Sammler auf der Suche nach aussergewöhnlichen Modellen mit einem Mix aus Tradition und Innovation. Der Gründer und CEO der Marke ist ein erfahrener Hase. Yvan Arpa hat bereits zwei Nischenmarken gegründet (Artya und Black Belt) und die Prototypen-Manufaktur SC2 übernommen, deren anerkanntes Fachwissen er für Spero Lucem nutzt. «Man muss davon überzeugt sein, eine starke, ehrliche, einschneidende und andersartige Idee zu haben», beteuert der Unternehmer mit einer Vorliebe für Marketing und Uhrmacherei. Für dieses neue Abenteuer ging er eine Partnerschaft mit einer reichen Chinesin und Uhrenliebhaberin ein. Der Vertrieb soll folglich über Boutiquen in China sowie einige weltweit sehr sorgfältig ausgewählte Einzelhändler erfolgen. Spero Lucem bietet ausserdem Schmuck und Accessoires mit Mechanismen aus der Uhrmacherei an. 2014 soll das Angebot erweitert werden.

 

Der Slogan der Marke Champs Elysées, die offiziell an der Baselworld 2013 lanciert wurde, lautet «The Secret of Elegance». Die neue Marke mit Sitz in Neuenburg möchte den prestigeträchtigen Damenuhren mit drei ersten Kollektionen aus Zeitmessern in Gold mit Edelsteinen den roten Teppich streitig machen. Die Gründer der Marke positionieren ihre Modelle mit gleichem Karat- und Goldgewicht gut 25% günstiger als die grossen Marken. Die Uhren von Champs Elysées werden mit kleinen Bonus-Produkten überreicht, um die Herzen von Kunden und Einzelhändlern zu überzeugen: mehrere kostenlose Armbänder, luxuriöser Schrein mit einem an einem kleinen Anhänger baumelnden Schlüssel etc. Die Verkaufsstellen sollen durch Lokalwerbung in Zeitschriften und mit Plakaten unterstützt werden. Die zwei Geschäftspartner, die seit rund zehn Jahren Experten für den Uhrenvertrieb im Nahen Osten sind, haben vor drei Jahren beschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und durch die Gründung ihrer eigenen Marke vom Wiederaufschwung nach der Krise zu profitieren. Navid Azem leitet Champs Elysées in der Schweiz, während Keyvan Lamé von Dubai aus weiterhin seine Vertriebsgesellschaft leitet und seine Einbindung in die Region nutzen soll. Die Investoren hängen finanziell für die Umsetzung ihres Projekts nicht von Banken ab. Sie können sich also viel Zeit lassen, um an den richtigen Türen zu klopfen und sorgfältig die besten Verkaufspunkte auszuwählen, wobei sie im Nahen Osten anfangen möchten. Bei der Ausarbeitung des Produkts wurden übrigens zuvor einige von ihnen um Rat gefragt, um das Vertrauen von Anfang an zu untermauern.

 

Die ebenfalls von einer luxuriösen Adresse Genfs inspirierte Marke 88 rue du Rhône möchte möglichst vielen Menschen moderne und elegante Uhren zugänglich machen. Die meist mit Quarzwerk ausgestatteten Zeitmesser bestechen durch die im Design allgegenwärtige Zahl 88: Zeiger, Krone, Zifferblattguillochierung, Gehäusegravuren, Anzahl Diamanten auf der Lünette etc. Paradoxerweise gibt es die Nummer 88 in der Rue du Rhône gar nicht. Die offizielle Lancierung der Marke an der Baselworld erfolgte jedoch am Stand A88. Die Besucher konnten dort die 70 Referenzen der Kollektion Double 8 Origin entdecken. Auf den im Sommer 2012 gestarteten Vertrieb in grossen Geschäften in London sowie den USA folgten der Nahe und Ferne Osten mit einer Vorliebe für die Zahl 88. Zur Entwicklungsstrategie zählen auch Online-Direktverkäufe, die durch Kommunikation über soziale Netzwerke sowie Kinosponsoring wie beispielsweise über die British Academy of Film and Television Arts angekurbelt werden sollen. Die Mitgründer sind wie Klein-Obelix in den Uhrmacher-Zaubertrunk gefallen, da ihre Familie Raymond Weil gründete und noch heute besitzt. Die Brüder Elie und Pierre Bernheim erbten den Unternehmergeist und wollen nun gemeinsam die Welt erobern.

 

Die 1826 gegründete Marke H. Moser & Cie wechselte vergangenes Jahr nach hohen Verlusten den Besitzer. Die Melb Holding, bereits Eigentümerin von Hautlence und Vertreiberin von Celsius sowie De Bethune im Fernen Osten, gedenkt nun, die Manufaktur wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Gibt es einen Unterschied zwischen Lancierung und Neulancierung? Der neue CEO Edouard Meylan (siehe Business News Seite 32) meint: «Das Image von H. Moser & Cie ist interessant und unversehrt. Das Potenzial einer solch neoklassischen Marke ist enorm und wird durch den Boom auf bestimmten Schwellenmärkten noch gesteigert.» Natürlich müssen Erbgut und Aufgaben des bestehenden Teams neu definiert sowie neue Produkte und Marketinginstrumente entwickelt werden. Vor allem gilt es jedoch, wieder schwarze Zahlen zu schreiben. Hauptaktionär Georges-Henri Meylan fügt hinzu: «Die Produktionsinfrastruktur von H. Moser & Cie ist für unsere Gruppe von strategischer Bedeutung, insbesondere für die Herstellung von Spiralen und Regulierorganen.» Derzeit ist die Schweiz der Hauptmarkt für die Marke. Später soll die Melb-Struktur in Hongkong jedoch den Weg ins chinesische Eldorado ebnen. Russland, das Gründerland der Marke, wird sicherlich zu den weiteren prioritären Märkten zählen, damit die Marke langfristig das Ziel von 150 Einzelhändlern und einigen Boutiquen erreicht.


Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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