Uhren-Route : Besichtigen Sie Genf…

 

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Die für Touristen bestimmte Uhren-Route dient ausschliesslich dazu, das uhrmacherische Erbe des Genfer Stadtzentrums durch einen Rundgang aufzuwerten, den man zu Fuss oder per Fahrrad bequem in einem halben oder ganzen Tag absolvieren kann. Sie erstreckt sich folglich nicht bis in die Randgebiete von Genf wie Meyrin oder Plan-les-Ouates, wo heute zahlreiche grosse Manufakturen angesiedelt sind. Diese werden aber durch die Boutiquen vertreten, an denen die Uhren-Route vorbeiführt. Alle Marken, ob mit Hauptsitz in Le Locle, La Chaux-de-Fonds, Le Sentier, Schaffhausen, Le Brassus, Neuenburg, L‘Abbaye, L‘Auberson, Nyon oder St. Imier, verfügen über ein Schaufenster in Genf. Mit rund 50 Einmarken-Boutiquen und ebenso vielen Mehrmarken-Einzelhändlern bietet die Uhren-Route einen Gesamtüberblick über die Schweizer Uhrenlandschaft und führt gleichzeitig durch Genfer Stadtviertel mit hohem Symbolwert: Bahnhofsviertel und Tourismusbüro zum Auftakt, gefolgt vom Geschäftsviertel im Zentrum, der Altstadt mit ihren Kunstgalerien und Dekorationsgeschäften, dem Banken- und Kulturviertel sowie dem Viertel für moderne Kunst, das vom Patek-Philippe-Museum bis zur Manufaktur F.P. Journe reicht, die übrigens die einzige echte Manufaktur im Herzen Genfs ist.

Genfer Uhrmacher-DNA

Alles begann Mitte des 16. Jahrhunderts, als der Reformationsführer Jean Calvin 1541 in Genf ein Verbot jeglicher äusserer Zeichen von Reichtum erliess und so Juweliere und Goldschmiede zwang, ihr Fachwissen auf die Entwicklung von Uhren zu lenken. Zwei Jahrhunderte später exportierte Genf rund 60 000 Uhren, und viele der in der Stadt zu zahlreich gewordenen Uhrmacher siedelten in den Jurabogen über. Als 1909 der 400. Geburtstag Calvins mit dem 350. Geburtstag der Académie de Genève zusammenfiel, liessen die Stadtbehörden im Parc des Bastions gegenüber dem Grand Théâtre die Reformatorenmauer errichten: Die fünf Meter hohen Statuen der vier Hauptakteure der Reformationsbewegung lehnen sich an einen Teil der alten Befestigungsmauer, die die Stadt bis zum 19. Jahrhundert umgab.

Sogar das bekannteste Wahrzeichen Genfs, der Jet d’eau, geht auf die uhrmacherischen Grundfesten der Stadt zurück. Die uhrmacherische Berufung Genfs führte zusammen mit der im 18. Jahrhundert eingeleiteten Arbeitsteilung (Etablissage) die dem Goldschmied Daniel Jeanrichard zugeschrieben wird) dazu, dass rund 4000 Uhrmacher-Handwerker sich am Rhoneufer niederliessen, um die ab 1872 vor allem aus dem Bâtiment de la Machine und ab 1886 aus dem Wasserkraftwerk Coulouvrenière stammende Wasserkraft zu nutzen. Mit diesem unter Druck stehenden Wasser konnten zahlreiche Fertigungsschritte von Werken und Uhrengehäusen wie beispielsweise das Fräsen mechanisiert werden. Die Cabinotiers drehten am Tagesende fast alle gleichzeitig in ihren Uhrenwerkstätten die  unerlässlichen Wasserhähne zu und schufen so einen Überdruck, den die Maschinisten des Wasserkraftwerks Coulouvrenière sofort durch ein Stoppen der Pumpen ausgleichen mussten. Einer von ihnen hatte deshalb die Idee, ein Sicherheitsventil einzurichten, dank dem der Überdruck mit bis zu 30 Meter in die Höhe schiessendem Wasser abgelassen werden konnte. Die Anwohner wussten dieses Spektakel schnell zu schätzen. 1891 wurde der Jet d’eau von der Genfer Stadtregierung als Touristenattraktion verlegt und institutionalisiert.

Was ist von den berühmten Cabinotiers übrig geblieben? Neben dem Erbe, auf dem auch heute noch der internationale Ruf Genfs gründet, prägte ihre Tätigkeit auch die Architektur des Stadtviertels St Gervais (zwischen Bahnhof und Rhone), dessen wertvolles Druckwasser den Handwerkern das Arbeiten erleichterte. Die nach Norden ausgerichteten Werkstätten wurden meist in den eigenen Behausungen oder aber in aufgestockten Obergeschossen mit grossen Fensterfronten eingerichtet. In der hinter der Pont de la Machine gelegenen Rue Rousseau verfügen die Hausnummern 7 und 9 sowie die unterhalb des Bahnhofs befindliche Nummer 25 in der Rue Chantepoulet heute noch über solch breite Fensterfronten. Die zu Cabinotiers-Zeiten 1755 gegründete Manufaktur Vacheron Constantin renovierte zu ihren Ehren das vom gleichen Architekten wie das Grand Théâtre in Genf entworfene Gebäude am Quai de l’Ile, wo sie seit 1875 als älteste ununterbrochen tätige Uhrenmarke ihren historischen Sitz hat. Dieses wunderschöne Bauwerk birgt heute neben einer exklusiven Boutique auch eine den Handwerkskünsten gewidmete Werkstatt, eine für massgeschneiderte Bestellungen eingerichtete Cabinotiers-Werkstatt sowie im ersten Stock einen Raum, der ein Vierteljahrtausend Uhrmachergeschichte anhand von Archiven, Maschinen, Originalmöbeln und Uhren nachzeichnet.

Wichtigste Sehenswürdigkeiten

Das grösste Uhrmachermuseum Genfs ist das Patek-Philippe-Museum. Die der Öffentlichkeit sowie nach Voranmeldung für geführte Besichtigungen zugänglichen vier Etagen beherbergen umfassende Uhren- und Emailkollektionen aus Genf, der Schweiz und ganz Europa aus der Zeit zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Neben der Bibliothek und den über 2000 historischen Objekten, die den Reichtum und die Vielfalt der Uhrmacherkunst (Uhren, Musikautomaten und auf Email gemalte Miniaturporträts) nachzeichnen, können in diesem gegenüber dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst angesiedelten und perfekt restaurierten Gebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts auch die seit der Gründung der Marke 1839 entwickelten Kreationen bewundert werden. Die lebendigen, aber nicht ständig präsentierten Uhrenkollektionen der Stadt Genf werden im Musée d’art et d’histoire (Kunstgeschichtsmuseum) und im Musée Rath aufbewahrt und regelmässig in thematischen Ausstellungen gezeigt.

Etwas früher auf der Uhren-Route stolpert man förmlich über drei wahrlich andersartige, aber nicht minder spektakuläre Uhren. Das nach dem Jet d’eau meistfotografierte Monument ist die Horloge Fleurie (Blumenuhr) im Jardin Anglais (Englischer Garten), die über 6500 auf acht konzentrische Kreise verteilte Blumen umfasst, die je nach Saison wechseln. Ausserdem hat sie den längsten Sekundenzeiger der Welt: 2,50 Meter. Die vom Genfer Uhrmacher Jean Kazes entwickelte Horloge mécanique (mechanische Uhr) des Hôtel Cornavin hält auch einen Weltrekord, denn sie ist die höchste Uhr der Welt: Während ihr Pendel die Aussenwand der im Erdgeschoss befindlichen Bar schmückt, befindet sich das Werk mit Hemmung ohne Rückfall 30,02 Meter höher an der Fassade im 9. Stock des neben dem SBB-Bahnhof gelegenen Hotels (das den Blick darauf seinen Gästen vorbehält).

Die zwischen der Rue du Rhône und der Rue de la Confédération befindliche Horloge du Passage Malbuisson unterhält die Passanten stündlich mit einem musikalischen Spektakel: Das vom Uhrmacher Edouard Wirth entwickelte Läutwerk mit 16 Glocken spielt eine durch ein Lied für das Escalade-Fest (grosses Genfer Volksfest zu Ehren der Verteidigung der Stadt gegen die Savoyer 1602) inspirierte Melodie.

Obwohl dieser Gedenktag eigentlich nie direkt etwas mit der Uhrmacherei zu tun hatte, wird der 300. Geburtstag des Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau 2012 mit zahlreichen Veranstaltungen während des gesamten Sommers gefeiert, insbesondere mit einem auf der Ile Rousseau beschriebenen, der Uhren-Route ähnlichen Rundgang.

Die Uhren-Route wird unter www.routedelhorlogerie.com ständig weiterentwickelt. Es gibt auch eine iPhone-Applikation, die kostenlos heruntergeladen werden kann

 

Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

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