Urwerk : UR-1001 Zeit Device

Der für diese Ausgabe ausgewählte Zeitmesser ist resolut anders. Als mir das Exemplar überreicht wurde, war ich so perplex, überrascht und gleichzeitig begeistert, dass ich nicht wusste, ob ich angesichts dieses extravaganten Deliriums die Genialität des Entwicklerduos in den Himmel heben oder sofort eine Einweisung ins Irrenhaus fordern sollte.

Felix Baumgartner und Martin Frei haben uns noch nie an konventionelle Zeitmesser gewöhnt, aber mit der UR-1001 sind sie wirklich zu weit gegangen (zu unserem grössten Glück).

Ich brauchte mehrere Tage, um dieses aufgrund seiner Originalität nicht identifizierbare Objekt, für das man wirklich einen neuen Terminus erfinden müsste, handzahm zu machen. Denn alle bestehenden Begriffe für Zeitmessinstrumente wären definitiv zu eng gefasst.

 

Ausstattung:

Das Gehäuse der UR-1001 ist 106 mm lang, 62 mm breit und 23 mm hoch, was ungefähr den Abmessungen eines grossen Smartphones entspricht. Es ist aus einem Stahlblock gefertigt, und die Oberfläche ist mit Aluminium-Titan-Nitrid behandelt, einer für ihre Härte und Oxydationsresistenz bekannten industriellen Beschichtung, die dem Gehäuse ein relativ mattes Schwarz verleiht und somit den männlichen Charakter dieser Kreation noch unterstreicht. Die Vorderseite des Gehäuses ist mit kreisförmigen Linien dekoriert, die zu den kantigen Formen von Gehäuse und Glas einen schönen Kontrast bilden und so die perfekt beherrschte Quadratur des Kreises darstellen. Das Glas verfügt über zahlreiche Ein- und Ausbuchtungen sowie eine schön geschwungene breite Wölbung. Selten habe ich ein so grosses Glas gesehen. All dies verdient bereits unsere Bewunderung und unseren Respekt. Wir werden in diesem Abschnitt nicht weiter auf die Anzeigen eingehen, da diese fester Bestandteil des Werks sind, möchten aber dennoch anführen, dass hinter einem Scharnierdeckel auf der Unterseite noch weitere Informationen eingesehen werden können, die man aber nur selten braucht. Da die Zeit Device sich auf einem Schreibtisch oder einer Konsole ebenso gut macht wie beim Tragen, wird sie mit einer Kette in geschwärztem Stahl und einer Präsentationsschatulle geliefert, in der das Werk durch eine Pendelbewegung von 185° aufgezogen wird. Urwerk bietet ausserdem einen massgeschneiderten Anzug an, dessen Westentasche auf die Abmessungen und das nicht unerhebliche Gewicht dieses Zeitmessers perfekt zugeschnitten ist.

 

Werk:

Auch wenn die UR-1001 wirklich nicht mit einem anderen Zeitmesser oder einem sonstigen,  nicht uhrmacherischen Objekt vergleichbar ist, spiegelt sie die Identität von Urwerk fast stärker wider als jede andere zuvor: überdimensionaler Stundensatellit sowie retrograde Minutenanzeige, Jahreskalender mit gleichem Anzeigesystem (Monatssatellit und retrogrades Datum). Eine Tag/Nacht- sowie eine Gangreserveanzeige vervollständigen auf der Vorderseite dieses Ensemble der nützlichsten Informationen. Klappt man den Deckel auf der Rückseite auf, tritt die Ölwechselangabe mit einer Fünf-Jahres-Anzeige zutage, wobei der Sektor von drei bis fünf Jahren rot unterlegt ist, um die Notwendigkeit einer Wartung anzugeben. Bei jedem Service wird diese Anzeige «Oil Change» auf null zurückgestellt. Um den Uhrmachermeistern und vielleicht sogar den Ethnologen künftiger Jahrhunderte das Leben zu erleichtern, wurden zwei Jahresanzeigen hinzugefügt: eine über 100 und die andere über sage und schreibe 1000 Jahre! All diese Informationen wurden energiesparend entwickelt. Ein einziges über die Schwungmasse in eine Richtung aufgezogenes Federhaus garantiert eine Gangreserve von 39 Stunden – mehr als ausreichend angesichts der mitgelieferten Präsentationsschatulle mit Aufziehvorrichtung.

Die Vollendungen sind sehr abwechslungsreich, wobei dem Clous-de-Paris-Motiv, der Perlierung und den Genfer Streifen der Löwenanteil zufällt. Die diamantierten abgeschrägten Kanten beeindrucken durch ihren extremen Spiegelglanz.

 

Tests:

Um einigermassen korrekte Gangmessungen vornehmen zu können, musste ich zuerst das Mikrofon meiner Zeitwaage abmontieren, denn kein Modell ist für so riesige Geräte geeignet. Trotz meiner behelfsmässigen Konstruktion erwiesen sich die Messungen aufgrund der dicken «Panzerhaut», die nur wenig Geräusche durchlässt, als schwierig. Die Messung erschien nur in zwei Positionen nützlich: horizontal mit Zifferblatt oben und vertikal mit Krone oben. In beiden Fällen lag die Gangabweichung bei vollem Aufzug sowie nach 24 Stunden Gang bei 0 bis +3 Sekunden pro Tag. Die Amplituden befanden sich exakt zwischen 258° und 286°. Obwohl diese Messungen angesichts des schlechten Signals relativiert werden müssen, ist offensichtlich, dass Felix Baumgartner die Einstellung für diese beiden wichtigsten Funktionspositionen optimiert hat. Die Lesbarkeit ist durch die typische Anzeigeform, die Übergrösse und den Einsatz von Superluminova auf allen Ziffern und Graduierungen unvergleichlich gut. Die Helligkeit ist so stark, dass dieser Zeitmesser als Nachttischuhr Menschen mit leichtem Schlaf um denselbigen bringen könnte. Handling, Aufzug und Einstellung sind benutzerfreundlich durchdacht, da all diese Operationen direkt über die riesige Krone erfolgen. Die retrograden Funktionen sind ausserdem perfekt eingestellt, um die Sicherheit der Mechanismen sowie einen beispielhaft geringen Energieverbrauch zu garantieren.

 

Fazit:

Wie bereits eingehend gesagt, sind Felix Baumgartner und Martin Frei wirklich zu weit gegangen. Und sie hatten so recht! Nach einer Woche mit der UR-1001 hege ich keinen Zweifel mehr. Das Duo hat seiner Fantasie freien Lauf gelassen, sich viel weiter vorgewagt als jeder andere zuvor und als alles bisher vorstellbare und seine Genialität, die bereits allseits (an)erkannt war, noch signifikant gesteigert. Den einzigen winzigen Makel, den wir, stets um Objektivität bemüht, bei haarspalterischem Suchen finden konnten, ist, dass der Bodendeckel vielleicht auch zum Ständer hätte umfunktioniert werden können, damit man die UR-1001 auch als vertikale Tischuhr benutzen kann. Das Gesamtgewicht hätte die Zuverlässigkeit des Systems vielleicht mindern können, doch dies scheint angesichts aller brillant umschifften Klippen wirklich nahezu lächerlich.

Eine meiner ersten Fragen bei der Entdeckung dieses intergalaktischen Raumschiffs war, an wen es sich richtet und warum jemand es kauft. Nach dem Prüfstand sind diese Fragen überflüssig geworden, denn ungeachtet der Genialität des Objekts haben die Schöpfer ihrer Fantasie völlig freien Lauf gelassen, ohne sich solche Fragen überhaupt zu stellen!

Mit insgesamt acht Exemplaren wird dieses UFO seinen Sonderstatus sicherlich auch für die kommenden – und auf dem Control Board angezeigten! – 1000 Jahre behalten.


Brice Lechevalier ist Chefredakteur und Mitbegründer von GMT (2000) sowie Skippers (2001) und leitet WorldTempus seit der Integration in das Unternehmen GMT Publishing als Ko-Aktionär. 2012 entwickelte er die Geneva Watch Tour. Seit 2011 dient er als Berater des Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Im Bereich des Segelsports zeichnet er seit 2003 für die Veröffentlichung der Zeitschrift der Socitété Nautique de Genève verantwortlich. Er ist ferner Mitbegründer des 2009 ins Leben gerufenen SUI Sailing Awards (offizieller Schweizer Segelpreis) sowie des 2015 erstmals durchgeführten Concours d’Elégance für Motorboote des Cannes Yachting Festival.

Review overview
})(jQuery)